Die Bayern und der Räuber

Die Engländer haben Robin Hood, die Amerikaner haben Bonnie und Clyde und der deutsche Freistaat Bayern hat Mathias Kneißl: Helden jenseits von Recht und Gesetz. Im Gegensatz zum König der Diebe Robin Hood und genau wie das Gangsterpaar Bonnie und Clyde ist Mathias Kneißl eine nachweislich historische Persönlichkeit – und ein verurteilter Schwerverbrecher.

Bild aus Bayern

Idylle kann trügen

Eigentlich sollten Räuber nicht zu Volkshelden werden, aber es kommt in beinahe jeder Kultur vor. Diese Verbrecher verkörpern den Mut, sich gegen Autoritäten aufzulehnen, die Freiheit zu tun, was immer sie wollen (zumindest bis sie geschnappt werden), und die Kühnheit, ihr Ding durchzuziehen, koste es, was es wolle. Das fasziniert Menschen, besonders solche, die diese Eigenschaften bei sich selbst vergeblich suchen. Je schwerer die Zeiten sind, desto mehr erscheinen Männer und Frauen, die Grenzen überschreiten, um sich ein gutes Auskommen zu sichern, wie Kämpfer gegen Elend und Willkür. In der Regel ist dies nichts anderes als Verklärung. Die meisten Verbrecher, egal aus welcher Kultur oder Epoche, werden dem Idealbild des raubenden Rächers, der nur von den Reichen nimmt, nicht gerecht.

Problemkind, Schreiner, Räuber

Mathias Kneißl

Mathias Kneißl kurz vor seiner Hinrichtung.

Mathias Kneißl, geboren am 12. Mai 1875 im oberbayrischen Unterweikertshofen, wurde im Alter von 16 Jahren erstmals verhaftet, als seine Familie unter dem Verdacht stand, sich aus dem Opferstock einer Kirche bedient zu haben. Nach dem Tod des Vaters unter ungeklärten Umständen in Polizeigewahrsam begannen Mathias Kneißl und sein jüngerer Bruder Alois mit Raubzügen. Sie wurden geschnappt und verurteilt. Alois starb im Gefängnis, Mathias verbüßte fünf Jahren und neun Monate. Nach seiner Entlassung im Februar 1899 verschlug es ihn nach Nußdorf am Inn, wo er als Schreiner tätig war. Sein schlechter Leumund wurde ihm jedoch zum Verhängnis und er verlor seine Stelle, da seine Kollegen nicht mehr mit ihm arbeiten wollten. Daraufhin kehrte er auf die schiefe Bahn zurück und beging zusammen mit einem Komplizen, an den sich heute niemand mehr erinnert, Einbrüche.

Nach zwei Jahren wurde sein Partner gefasst, was Kneißl aber nicht lange aufhielt. Alleine und schwerbewaffnet unternahm er weitere Raubzüge. Bei den Kleinbauern des ländlichen Bayerns avancierte er damit zum heldenhaften Rebell, der die verhasste Obrigkeit immer wieder zu narren verstand. Am 30. November 1900 kam es in Irchenbrunn zu einem Schusswechsel mit der Staatsmacht. Dabei verletzte Kneißl zwei Polizisten so schwer, dass sie kurz darauf starben. Danach wurde ein hohes Kopfgeld auf Kneißl ausgesetzt, damit die Bürger ihre Sympathien für den Gesuchten ignorierten und ihn auslieferten. Das hat schon in der Bibel geklappt und es funktionierte auch hier. Kneißl wurde verraten und im März 1901 von 60 Polizisten gestellt. Er ging nun seinerseits im Kugelhagel verletzt zu Boden, überlebte aber.

Mathias Kneißl wurde wegen zweifachen Mordes, versuchten Totschlags sowie wegen schweren Raubes und räuberischer Erpressung angeklagt und schließlich zum Tode verurteilt.

Der verkorkste Freitag des Mathias K.

Zum posthumen Ruhm von Kneißl trug das angebliche Zitat „De Woch fangt scho guat o“ bei. Mit diesen Worten soll er auf seine Verurteilung reagiert haben, sie werden ihm außerdem häufig für den Tag seiner Hinrichtung in den Mund gelegt. Das Problem dabei: Kneißl wurde an einem Freitag exekutiert. Am 21. Februar 1902 starb er unter dem Fallbeil. Wie auch immer die Woche für ihn angefangen hatte, sie endete auf jeden Fall hundsmiserabel.

Ein Räuber-Bier zu den Räuber-Classics

Heute ist Mathias Kneißl im Raum Bayern noch immer ein Volksheld oder zumindest ein funktionierendes Marketingkonzept. Nach ihm sind Wanderwege und Wirtshäuser benannt, es gibt ein Räuber-Kneißl-Bier und seit 1991 eine Oldtimer-Rallye namens Räuber-Kneißl-Classics. Hatte der Mann überhaupt ein Auto? Völlig egal, der Name zieht. Aber warum gerade dieser Name? Warum ist Mathias Kneißl zur Legende geworden und kein anderer Verbrecher, der vielleicht ein paar Jahre früher oder später aktiv war?

Gedanken zum Mythos

KneißlAls Nicht-Bayerin, die noch nie ein Produkt mit dem Namen Kneißl darauf in den Händen gehalten hat und von diesem Mann überhaupt nur aus geschichtlichem Interesse weiß, bin ich vielleicht ein bisschen neutraler in Bezug auf ihn. Andererseits wohl nicht, denn als Polizistentochter finde ich Menschen, die Polizisten töten, grundsätzlich nicht sympathisch. Das Potential dazu, Volkshelden zu sein, haben sie schon per se nicht für mich. So viel dazu.

Kneißls Vita, soweit sie bekannt ist, lässt nicht darauf schließen, dass er etwas Besonderes war und viel für das einfache Volk getan hat. Selbst die trotzigen und sarkastischen Zitate, die ihm zugesprochen werden, sind unbelegt. Wer war Mathias Kneißl wirklich? In meinen Augen und in der vieler Historiker war er eher eine gescheiterte Existenz ohne richtige Chancen im Leben. Er geriet schon in der Jugend auf die schiefe Bahn und lebte in einer Zeit, in der Resozialisierung noch kein Thema war. Als Mensch blieb er auf der Strecke. Seine Ausstrahlung mag vielleicht nicht die eines Brutalos gewesen sein, womöglich wirkte er sogar nach außen hin sympathisch, dennoch hat er Waffengewalt angewendet und Unschuldige um ihr Leben gebracht. Wegen des Todes seines Vaters schien er einen besonderen Hass auf Polizisten empfunden zu haben und besaß keine Hemmungen, auf sie zu schießen.

All das war den Menschen damals egal. Sie projizierten mehr auf ihn, als in ihm steckte. Die einfachen Leute, die hart arbeiteten und kaum selbst genug zum Leben hatten, waren nicht gut auf „die da oben“ zu sprechen und fanden es bewundernswert, dass einer aus ihrer Mitte gegen das Establishment aufbegehrte. Dabei hatten sie ihn selbst verstoßen und ihm die Chance auf ein ehrbares Leben als Schreiner oder in einem anderen Beruf verbaut. Das spielt in seinem Nachleben als Werbeträger und Titelheld kaum mehr eine Rolle. Er ist immer noch eine Projektionsfläche.

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Anmerkung

Dieser Beitrag wurde bearbeitet. Er erschien ursprünglich am 24. Februar 2016.