Erfahrungen sammelt man wie Pilze

Dank der hohen Feuchtigkeit sprießen sie im Herbst verstärkt aus Waldböden, Straßenrändern und Gartenbeeten: die Pilze. Mal sind sie flach, mal wachsen sie nach oben, immer sehen sie harmlos aus, viele von ihnen schmecken gut und einige von ihnen sind erwiesenermaßen tödlich. Pilze vollbringen das Kunststück, sowohl Symbole für Glück als auch für Gift zu sein. Beides scheint sich auszuschließen, prallt aber in einem bestimmten Zustand aufeinander: dem Rausch.

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Als Abendbrot ungeeignet

Die als Pizzabelag beliebten Champignons oder die häufig in Rahmsoße angerichteten Steinpilze sind völlig ungefährlich, gelten jedoch nicht als Glücksbringer. Es sind die Fliegenpilze, die Menschen weltweit als Symbole für Glück kennen – und definitiv nicht essen sollten. Wie heißt es in einem Merksatz so unoriginell: „Pilze die fliegen, darf man nicht essen, die sind giftig.“ Gerade diese Giftstoffe aber sind vermutlich der Grund dafür, dass Fliegenpilze und Glück miteinander in Verbindung gebracht werden.

Glücklich ohne Glück

FliegenpilzSchon vor Jahrhunderten wurden Fliegenpilze in verschiedenen Kulturen, allerdings weniger in unserer, als Rauschmittel verwendet, um Zustände der Ekstase hervorzurufen. Das ist kein echtes Glück und ausgesprochen ungesund, kann sich jedoch sehr gut anfühlen. Ausprobiert habe ich es freilich nie, mir reichen Champignons. Durch seine gefährlich-anregende Wirkung, möglicherweise gepaart mit seinem auffälligen Aussehen, hat sich der Fliegenpilz als Glückssymbol etabliert. Dass eine Fliegenpilz-Vergiftung zwar sehr unangenehm sein kann, aber in der Regel nicht tödlich verläuft, macht ihre Konsumenten in gewisser Weise ebenfalls zu „Glückspilzen“. Gleichwohl erklärt dies nicht, warum der Fliegenpilz Fliegenpilz heißt. Dieser Name geht auf die traditionelle Verwendung des rot-weißen Giftpilzes als Insektizid zur Bekämpfung von Fliegen zurück. Gut, lästige Fliegen loszuwerden stellt auch wieder eine Form des Glücks dar.

Eine Anekdote:

Der dänische Märchenautor Hans-Christian Andersen zog sich sehr schlampig an.

Einmal fragte ihn ein junger Giftpilz: „ Dieses jämmerliche Ding auf ihrem Kopf nennen Sie Hut?“

Andersen blieb aber ruhig und antwortete: “Dieses jämmerliche Ding unter ihrem Hut nennen Sie Kopf?“

Der giftigste aller Giftpilze ist der Grüne Knollenblätterpilz, liebevoll „Death Cap“ („Todeshaube“) genannt. Diesen Pilz auf dem Teller zu haben ist mit Pech noch untertrieben beschrieben. Nicht einmal die verrücktesten Schamanen empfehlen ihn als Mittel zur Ekstase. Der Grüne Knollenblätterpilz verursacht lebensbedrohliches Leberversagen, das sich niemals gut anfühlt. Unter allen Pilzvergiftungen mit Todesfolge werden nur 10 Prozent nicht durch eben diese „Todeshaube“ verursacht. Alleine das Wissen um die Existenz eines so giftigen Pilzes, der nicht mit einer riesigen Warnleuchte oder einem Totenkopf-Symbol auf der Oberseite daherkommt, sondern leicht mit Speisepilzen zu verwechseln ist, sollte Laien daran hindern, Pilze zu sammeln und zu verzehren.

Wer das Versprechen eines Leberversagens noch nicht erschreckend genug findet, kann sich die historischen Dimensionen vor Augen führen. Immerhin soll Kaiser Karl VI. im Jahr 1740 einer Knollenblätterpilz-Vergiftung zum Opfer gefallen sein, was den acht Jahre währenden Österreichischen Erbfolgekrieg auslöste. Der Philosoph Voltaire konstatierte damals:  „Dieses Pilzgericht hat das Schicksal Europas verändert.“

Urlaubsfreundschaften und Pilzgerichte

Pilze sind nicht nur Nahrungsquelle, Rauschmittel, Gift und Glücksbringer, sondern darüber hinaus Inspiration für Metaphern und Zitate. Wie jenes von Erskine Caldwell:

Erfahrungen sammelt man wie Pilze:
einzeln und mit dem Gefühl,
dass die Sache nicht ganz geheuer ist.

Flapsiger kommt ein Zitat von Bernhard Wicki daher, das in Kochbücher und Poesiealben passt:

Urlaubsfreundschaften und Pilzgerichte soll man nicht aufwärmen.

PilzeBeide Sprüche erinnern uns daran, wie gut und kostbar, aber zugleich ungesund bis gefährlich Pilze sein können. Man sollte nicht leichtfertig mit ihnen umgehen. Nicht einmal im Traum. In der Traumdeutung gelten essbare Pilze als Mahnung, ehrlich zu seinen Mitmenschen zu sein. Giftpilze sind hingegen eine Warnung vor der Heimtücke anderer. Wegen ihrer Form werden Pilze allerdings oft schlichtweg als Phallussymbol interpretiert. Eine nicht näher definierte Zahl der Menschen, die von Pilzen träumt, hat demnach nur eine schmutzige Fantasie.

Als wäre die Lage auf dem Waldboden nicht schon vertrackt genug, gibt es neben Speisepilzen und Giftpilzen noch die mobilen Pilze. Um Wolfgang Kreiner zu zitieren:

Das Freibad ist der Ort,
wo man im Sommer auch
frische Pilze bekommt.

Igitt!

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