Sehr viel von der Welt gesehen habe ich zwar noch nicht, doch an der Themse war ich schon. Londons legendärer Fluss könnte uns viele Geschichten aus den letzten Jahrhunderten erzählen, abgesehen von den 23 Wintern, die er verschlafen hat. In diesen ungewöhnlich kalten Monaten war die Themse komplett zugefroren und wurde plötzlich zum rummeligen Kirmesplatz voller Menschen und Tiere. Nicht immer endete das Vergnügen mit fröhlichen Gesichtern.
Von Anfang des 15. Jahrhunderts bis in das 19. Jahrhundert hinein erlebte die Welt eine so genannte Kleine Eiszeit, in der ein kühles Klima herrschte. In einigen europäischen Regionen lagen die Temperaturen 1 bis 2 Grad unter denen der vorherigen Jahrhunderte. Während dieser für die Historische Klimatologie – und die denke ich mir nicht aus, die gibt es wirklich – interessanten Periode fror die Themse in 23 Wintern zu. Das erste Mal geschah dies 1408. Wie die Londoner darauf reagierten, kann ich mir nur ausmalen. 1608 jedoch, dem achten Winter während der Kleinen Eiszeit, in dem die Themse zufror, erwachte in den Londonern die Freude am Frost – und am Kapitalismus. Der erste Frostjahrmarkt auf der Themse öffnete seine eisigen Pforten.
Karneval auf dem Wasser
Die lebhafteste Beschreibung eines themsischen Frostjahrmarktes stammt von dem englischen Autor John Evelyn (1620 – 1706) , der den Frostjahrmarkt von 1683/84 in Worte kleidete. Evelyn beschrieb „Bullenhetzen, Pferde- und Kutschenrennen, Puppentheater und Zwischenspiele, Köche, Besäufnisse und andere lasterhafte Orte“ und verglich das Spektakel mit einem „Karneval auf dem Wasser“. Das klingt doch ziemlich amüsant, wie etwas, mit dem man heute Touristen anlocken würde. Allerdings hatte das Vergnügen seine Schattenseiten.
Tod im Tauwetter
Zumeist hielt der gefrorene Zustand der Themse nicht lange an und die Menschen mussten sich rasch wieder vom Eis zurückziehen. Gelang dies nicht, waren die Folgen fatal. Im Jahr 1789 verursachte das plötzliche Tauwetter ein Unglück, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen.
Aus dem Porzellanladen aufs Eis
Die Unglücksfälle beendeten das Londoner Vergnügen nicht, dies übernahm das Klima. Darüber hinaus sorgten bauliche Maßnahmen im 19. Jahrhundert dafür, dass die Themse schneller floss und ein Zufrieren erheblich erschwert wurde. Der letzte Frostjahrmarkt fand vom 1. bis zum 5. Februar 1814 statt. Wie um dieses Ereignis angemessen zu würdigen, wurde damals ein Elefant über das Eis geführt. Schade, dass „sich wie ein Elefant auf der zugefrorenen Themse aufführen“ als Sprichwort nie salonfähig wurde.