Helene Gillet. Die Frau, die ihre Enthauptung überlebte

Es gibt diese unglaublichen Geschichten aus der Geschichte, die kaum Geschichte machten, obwohl sie verdammt gute Geschichten abgeben. Wie die von Helene Gillet, die am 6. Februar 1625 im französischen Dijon nach einem zweifelhaften Schuldspruch enthauptet werden sollte, ihre eigene Exekution aber überlebte. Ihr Scharfrichter hingegen nicht.

Die scharfe Klinge des Rechts

Helene Gillet (im korrekten Französisch: Hélène Gillet) war im Jahr 1625 entweder 21 oder 22 Jahre alt, hier sind sich die Quellen nicht ganz einig. Als Tochter des Burggrafen Pierre Gillet von Bourg-en-Bresse führte sie ein recht komfortables Leben, bis sie beschuldigt wurde, eine Schwangerschaft verheimlicht und das Kind getötet zu haben. Die gefundene Leiche eines Neugeborenen, eingewickelt in eine Decke mit den Initialen H.G., galt als klarer Beweis ihrer Schuld. Vieles in diesem Fall ist ominös und zweifelhaft, angefangen bei der Vaterschaft, dennoch zögerte das Gericht von Dijon nicht und verhängte die Todesstrafe durch Enthauptung über Helene Gillet. Das Parlament bestätigte das Urteil.

Die Ohnmacht des Schwertes

OpferAm 12. Mai 1625 wurde Helene Gillet auf den zentralen Platz von Dijon, heute bekannt als Place Émile-Zola, geführt, um durch das Schwert des Scharfrichters Simon Grandjean zu sterben. Es hatte sich bereits eine große Menschenmenge um die errichtete Plattform versammelt, um der Urteilsvollstreckung beizuwohnen. Als Helene vor ihm kniete, hob Grandjean sein Schwert und ließ es niedersausen auf … Helenes linke Schulter. Ein Fehlschlag im wahrsten Sinne des Wortes, der die Verurteilte zwar verletzte, aber nicht tötete. Ihr Kopf verblieb, wo er hingehörte. Die Szenerie kann sich jeder bildlich vorstellen, mit Ausschnitten aus dem eigenen Lieblingshorrofilm unterlegt: Die ganze Plattform voller Blut, eine vor Schmerzen und Angst schreiende, sich windende Frau und eine aufgebrachte Menge, die eigentlich eine schnelle, saubere Hinrichtung erwartet hat. Es flogen erste Gegenstände in die Richtung des Scharfrichters.

Grandjean war mit der Situation vollkommen überfordert, doch seine Ehefrau und Assistentin drückte ihm das Schwert erneut in die Hand und zwang ihn, seinen Job zu Ende zu bringen. Das klingt nach einer romantischen Ehe, geschlossen an Halloween mitten in der Nacht auf einem Friedhof. Simon Grandjean hob erneut sein Schwert, doch abermals gelang es ihm nicht, Helenes Kopf vom Hals zu trennen. Er verursachte „nur“ eine klaffende Wunde an ihrem Nacken. Vermutlich hatten Helenes Haare den zweiten unbeholfenen Schlag des nervösen Scharfrichters abgelenkt. Nun geriet die Situation völlig außer Kontrolle. Die Menge raste vor Wut angesichts dieser Vorgänge. Die Todesstrafe ist das eine, zweimal stümperhaft mit einem Schwert auf eine wehrlose junge Frau einzuschlagen etwas anderes. Der Scharfrichter Grandjean floh panisch in eine Kapelle.

Grandjeans Frau blieb jedoch und ließ alle Hemmungen fallen. Sie wollte Helene nur noch irgendwie töten und begann auf sie einzuschlagen, mit einer Schere auf sie einzustechen und sie zu würgen. Das Volk von Dijon rastete beim Anblick dieser Brutalität, die nichts mehr mit dem geregelten Zeremoniell einer staatlich angeordneten Exekution zu tun hatte, vollends aus, stürmte die Plattform und erschlug die Frau des Scharfrichters. Dem Scharfrichter selbst, der sich feige verkrochen hatte, widerfuhr das gleiche Schicksal. Er wurde aus der Kapelle gezerrt und ebenfalls umgebracht.

Die Macht der Gnade

Die blutende und halb-bewusstlose Helene gelangte in die Obhut eines Arztes, der ihre Verletzungen versorgte. Das Todesurteil war noch in Kraft, doch es widerstrebte beinahe allen in Dijon, eine erneute Vollstreckung zu versuchen. Ganz davon abgesehen, dass die Stadt nun keinen Scharfrichter mehr hatte. Die Anzahl an Bewerbern dürfte sich in Grenzen gehalten haben. Der französische König Louis XIII, der übrigens den Beinamen Louis le Juste (Louis der Gerechte) trug, kam der Zufall gelegen, dass seine jüngere Schwester Henrietta Maria gerade mit dem englischen König Karl I. verheiratet und somit zur neuen Queen ernannt worden war. Dieser freudige Anlass, wenn auch nicht so freudig für die beiden Eheleute, die sich zunächst nicht sonderlich mochten, erwies sich für Louis XIII als idealer Aufhänger, um Helene Gillet zu begnadigen. Sie lebte noch viele Jahre.

Hinrichtung & Effizienz

Heute ist die Stadt Dijon vor allem für ihren Senf bekannt und kaum für die Geschichte der Helene Gillet, die ihre eigene Enthauptung überlebte. Zu völlig missglückten Hinrichtungen wie die der jungen Französin kam es im Mittelalter und der Frühen Neuzeit einige Male. Dies führte unter anderem zur Entwicklung der Guillotine, die in Frankreich 1792 als offizielles und einziges Hinrichtungswerkzeug festgelegt wurde. Trotz einer leichten Namensähnlichkeit ist die Guillotine in keinster Weise nach Helene Gillet benannt, sondern nach ihrem Entwickler Joseph-Ignace Guillotin.

Literatur & Links zum Thema

Bildinformation

Die hier verwendeten Fotos sind ausschließlich Symbolbilder.

3 Responses

  1. Lars M sagt:

    Durch solche atemraubende Geschichte kann man echt was im Gedächtnis behalten. Bravo für die schöne Erzählung!
    LG
    Lars

  1. 6. September 2018

    […] Zeit und Geister: HELENE GILLET. DIE FRAU, DIE IHRE ENTHAUPTUNG ÜBERLEBTE […]