Vorab eine Reisewarnung für Chile: Sollten Sie einen Besuch der Atacama-Wüste im Norden des südamerikanischen Landes planen, folgen Sie dort bitte nicht dem glänzenden Vogel. Dieser kann Sie zwar unermesslich reich machen, höher ist allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass er Sie ins Verderben stürzt. In diesem Fall greift keine Reiserücktrittsversicherung.
Die chilenische Mythologie, die selten ins europäische Bewusstsein gelangt, gliedert sich in vier geographische Sagenkreise: Norden, Zentralgebiet, Osterinsel und Süden. Die nord-chilenische Sagenwelt ist eng mit der Atacama-Wüste, einem sehr wasserarmen Gebiet unseres Planeten, und dem Bergbau verknüpft. Aus dieser Mythologie stammt der Allicanto (auch Alicanto), ein dämonischer Vogel mit besonders glänzendem Gefieder, das auf die eigenwillige Nahrung des übernatürlichen Tieres zurückzuführen ist.
Metallvogel des Todes
Der Legende nach ernährt sich der Allicanto von Gold und Silber. Diese spezielle Edelmetall-Diät verleiht dem Vogel ein Gefieder in schönen, metallischen Farben, je nach bevorzugter Speise eher golden oder mehr silbern, und gibt ihm dazu seltsam leuchtende Augen. Vor diesen Augen kann sich kaum etwas oder jemand in den Schatten der Wüste verstecken. Der Allicanto führt Menschen zu Gold und Silber, wenn sie es schaffen, ihm zu folgen, ohne dass er sie bemerkt. Entdeckt der Vogeldämon seine Verfolger jedoch, was zumeist der Fall ist, lässt er sie in den Tod stürzen. Das hat man dann von seiner Gier. Diese Legende richtet sich insbesondere an Bergleute, die der Versuchung widerstehen sollen, dem Vogelwesen auf den Leim zu gehen. In einer abgeschwächten Variante des Mythos dimmt der Vogel, sobald er merkt, dass er „Stalker“ hat, nur sein Leuchten, was es fast unmöglich macht, ihm weiter durch die Höhlen zu folgen. Andererseits soll der Allicanto nicht abgeneigt sein, sich auf der Suche nach Gold und Silber mit Menschen zu verbünden, wenn sie brav mit ihm teilen. Wie fast alle Fabelwesen ist der Allicanto in seinem Verhalten etwas unstet. Das macht ihn nicht unbedingt vertrauenswürdiger.
Fliegen kann der Allicanto nicht, sein metallisches Gefieder ist dafür zu schwer. Es hat unvermeidliche Nachteile, sich von Gold und Silber zu ernähren. Vor allem kurz nach einer Mahlzeit bewegt sich der Allicanto äußerst schwerfällig. Auf leerem Magen dagegen ist dieser große Vogel ziemlich fix auf den Beinen. So wie wir alle auf dem Weg zum Kühlschrank. Wenn er rennt, spreizt er seine Flügel.
Das Fabelwesen Allicanto ist außerhalb Chiles nicht sehr bekannt, taucht aber vereinzelt in europäischer und amerikanischer Kunst auf, etwa in Romanen und Songs. Der Allicanto selbst fliegt zwar nicht, beflügelt aber offenbar die Fantasie der Menschen. Das ist mehr Wert als alles Gold und Silber der Wüste. Na ja, nicht wirklich, aber metaphorisch.
Feuervögel und Garuda
Der weltweit wohl bekannteste mythische Vogel ist der Phönix. Er hat seinen Ursprung in der ägyptischen Mythologie und wurde von den alten Griechen adaptiert. Er verbrennt am Ende seines Lebens, um wie „Phönix aus der Asche“ aufzuerstehen. Eine andere Art von Feuervogel kennt die slawische Mythologie. Hier ist das leuchtende Tier ein Wesen mit glühenden Federn, die sehr begehrt sind. Helden werden damit beauftragt, den Feuervogel zu fangen oder ihn zumindest ein bisschen zu rupfen.
In der indischen Sagenwelt zu Hause ist der Garuda, ein Geschöpf halb Mensch und halb Adler. Er fungiert als Götterbote, der den Menschen Nachrichten und Anweisungen der Götter überbringt, und ist der Erzfeind des Schlangenwesens Naga. Jedes mythische Wesen wirkt gleich viel cooler, wenn es einen Erzfeind hat.