Bildergeschichten – Geschichten bilden

Nicht nur die von mir bereits thematisierte Reizwortanalyse ist ein beliebter Trick gegen besonders hartnäckige Formen der Schreibblockade, auch die Inspiration durch alte Fotos wird gerne gegen tiefsitzende Ideenlosigkeit empfohlen. Wenn das ein Wundermittel wäre, hätte ich bereits mindestens 20 Bestseller geschrieben und das Internet mit Kurzgeschichten und Essays geflutet. Bei der Menge an alten Fotos, die ich durch meine Photographica-Leidenschaft besitze, stünde mir so langsam der Nobelpreis für Literatur zu.

Bildergeschichten: Album

Schenk dir selbst eine Geschichte

Nein, die Betrachtung alter Fotos bewirkt keine Wunder, aber sie kann tatsächlich sehr inspirierend sein. Alte Aufnahmen können der Ausgangspunkt für fiktive Geschichten jeden Genres werden, sie können zu historischen wie philosophischen Betrachtungen animieren oder zu Gedichten anregen. Bei der Beschäftigung mit alten Fotos, über die man nichts oder nur sehr wenig weiß, gerät die Fantasie durchaus in Wallung. Es gibt so viele offene Fragen. Ich habe vier beliebige Fotos aus meiner Sammlung ausgesucht, um einfach mal ein bisschen mit dieser Form der Ideenfindung zu spielen. Fühlt euch frei, euch inspirieren zu lassen.

Krieg, Blumen und Motoren

Bildergeschichte: Erster Weltkrieg

Dieses Bild entstand – offensichtlich – im Kontext des Ersten Weltkrieges, vermutlich kurz vor oder nach Ausbruch. Ich würde am liebsten ins Foto springen und den jungen Mann warnen, wie schrecklich, blutig und sinnlos der Krieg sein wird, der zu allem Überfluss die Weichen für einen zweiten Krieg stellt. Bemerkenswert an diesem Foto ist die Tatsache, dass der bewaffnete, marschbereite Soldat mit Blumen dekoriert ist. Darin liegt eine tragische Diskrepanz zur Wirklichkeit. Bedrohlich wirkt der junge Mann wahrlich nicht, im Gegenteil. Dennoch hat er womöglich kurz nach Entstehen dieser Aufnahme viele Leben genommen, vielleicht sogar sein eigenes verloren. Wie hieß er? Was ist ihm im Laufe des Krieges widerfahren? Wer hat ihn mit den Blumen geschmückt und wie lautet die Botschaft dahinter? Vielleicht war es seine Freundin/Frau, die später verzweifelt auf seine Rückkehr gewartet hat. Da werden doch gleich ein paar Denk- und Ideenanstöße verteilt.

Ich kenne die Hintergründe dieses Bildes nicht. In dem Album, aus dem es stammt, ist noch ein Foto aus dem Jahr 1946 enthalten, das ein Ehepaar zeigt. Der Mann könnte durchaus der um 30 Jahre gealterte „Blumenkrieger“ oder ein Bruder von ihm sein.

Bildergeschichten: Auto in den 1920er Jahren

„Schatz, kannst du mal nach dem Motor sehen?“ Diese Aufnahme ist einige Jahre älter als die obige und dürfte aus den 1920er Jahren stammen.  Der eine oder andere Liebhaber historischer Autos (und Betreiber entsprechender Blogs) könnte durch dieses Bild tatsächlich in Fahrt kommen, mal wieder etwas zu schreiben. Was ist das für ein Modell? Was hat es alles zu bieten? Passen da überhaupt fünf Leute rein? Moment … fünf? Ja, auf den ersten Blick könnte einem vielleicht die ältere Dame entgehen, die ihren Kopf fröhlich aus der (vom Betrachter aus) linken Tür streckt. Wir haben es hier scheinbar mit drei Generationen zu tun – Großeltern, Eltern und Tochter. War dies ihr erstes Auto? Wo und wie lebte die Familie? Was hat die kleine Tochter da in der Hand? Ein Motor für eine (Familien-)Geschichte kann diese Fotografie sicherlich sein.

Ins Jahr 2000 ohne Atomwaffen

Ins Jahr 2000 ohne Atomwaffen

Ins Jahr 2000 ohne Atomwaffen steht auf einem der Plakate an der Wand. Damit hat es leider nicht geklappt. Dialog für den Frieden steht auf einem anderen Plakat. Auch damit tun wir uns immer noch sehr schwer. Wenn man sich die Gestik und Mimik der Damen auf diesem Bild so ansieht, scheinen die das damals schon geahnt zu haben. Eines hat sich aber definitiv verändert: Wir lesen heute kaum noch Zeitschriften, wenn wir vor einem Rechner sitzen, die Zeitschriften sind bereits im Rechner drin. Wir nennen das gemeinhin Internet. Wann und wo wurde dieses Bild aufgenommen? Es könnte eine Uni sein, irgendwann in den 1960er Jahren, das wäre zumindest mein erster Eindruck. Eine Berufsschule wäre ebenso denkbar. Nach einem Betrieb sieht es mir mit all den idealistischen Motivationspostern weniger aus, doch wer weiß, was damals so angesagt war in Deutschlands Firmen. Andere Frage: Was sind das genau für … ähem … Computer? Der eine Monitor scheint an zu sein, aber wir sehen nur ein großes Eingabefeld. Für Atomcodes etwa? Sind die Poster nur eine Verschleierungstaktik? Wir sprechen hier von der Zeit des Kalten Krieges, da ist jedes Foto verdächtig.

Bildergeschichten: Kinder zum Fasching

Hier haben wir ein aus verschiedenen Gründen sehenswertes und zu Spekulationen anregendes Foto, das ich etwa in die 1960er Jahre verorte. Offenbar ist auf dem Bild gerade Karneval, der in einem Kindergarten oder Kinderheim gefeiert wird. Die Mienen der Kinder drücken in dem abgelichteten Moment weniger Spaß und Freude aus, eher Überraschung und Verwirrung, möglicherweise gepaart mit Nervosität. Dass sie so hintereinander aufgereiht sind und die Hände auf die Schultern des Vorderkindes haben, deute ich dahingehend, dass sie eine Art kleine Parade abhalten, die möglicherweise Teil einer Aufführung ist. Ich erinnere mich dunkel, als Stöpsel im Kindergarten am Großelternnachmittag zu solchen Showeinlagen genötigt worden zu sein. Da habe ich sicherlich ganz ähnlich aus der Wäsche geguckt. Das gehört zu den besonderen Kräften von alten Fotos: Sie wecken Erinnerungen an die eigene Vergangenheit. Ein weiteres nettes Schmankerl dieser Aufnahme: Wir können zwar die Augen der Frau im Hintergrund nicht sehen, dafür hat der neben ihr hängende Luftballon ziemlich große Gucker.

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