Der Tod nutzt noch Notizbücher: „Death Note“

Erste Seite, erster Eintrag (in Großbuchstaben): Ich bin kein Fan oder Kenner der Kunstform Manga! Das ist wichtig, denn somit gehöre ich nicht zu den Menschen, die mit jener japanischen Comicreihe, auf die der US-Film „Death Note“ basiert, vertraut sind. Ich habe zudem noch keine der japanischen Realverfilmungen des Stoffs gesehen, geschweige denn eine Folge der Anime-Fernsehserie. Ich könnte unvorbelasteter oder sagen wir neutraler kaum sein.

Death Note Netflix

Gibt’s das auch als App?

Immer wenn Hollywood sich daran macht, erfolgreiches Material aus Asien zu verfilmen, lässt der Aufschrei in den sozialen Medien nicht lange auf sich warten. Denn die amerikanische Film- und Fernsehindustrie neigt dazu, die fernöstlichen Handlungen in die USA zu verlegen und/oder die asiatischen Figuren in nicht-asiatische Charaktere umzuwandeln. „Whitewashing“ wird dies kritisch genannt. Die Diskussionen werden bisweilen hitzig geführt, bis hin zu schweren Vorwürfen von Rassismus, in die sich wiederum die Frage mischt, inwieweit es eigentlich sekundär rassistisch ist, als europäischer oder nordamerikanischer Manga-Fan das Gefühl zu haben, die asiatische Kultur gegen vermeintlichen amerikanischen Rassismus verteidigen zu müssen. Glücklich und zufrieden ist am Ende sowieso keiner. Trotzdem hat Hollywood die Mangas und Animes (noch) nicht aufgegeben wie „Death Note“ belegt. Diesmal wurde die Handlung nach Seattle verlegt und es gibt nur einen asiatischen Nebencharakter. Der Film ist eine Eigenproduktion des Streaming-Anbieters Netflix und seit dem 25. August 2017 abrufbar.

Death Note: Die Handlung

Death Note Netflix

Filmposter. Quelle: Netflix

Der Teenager Light Turner (Nat Wolff) findet ein mysteriöses Notizbuch namens Death Note, zu dem der unheimliche Dämon Ryuk (Originalstimme: Willem Dafoe) gehört, den nur Light als der neue Inhaber des Death Note sehen kann. Das Buch verleiht seinem Besitzer die ungeheure Macht, den Tod von Menschen zu bestimmen. Light muss nur einen Namen hineinschreiben, während er sich das Gesicht dieser Person vorstellt, und notieren, wie dieser Mensch sterben soll. Auch kann Light kontrollieren, was der oder die Todgeweihte in den letzten 48 Stunden vor dem Ableben macht. Nachdem Light zwei unliebsame Personen ins Jenseits befördert hat, weist er seinen Schwarm Mia (Margaret Qualley) in sein Geheimnis ein.

Gemeinsam ersinnen Light und Mia einen fiktiven Rächer namens Kira, der überall auf der Welt Verbrecher tötet, deren Namen und Gesichter die beiden Jugendlichen den Medien und Polizeiunterlagen von Lights Vater James Turner (Shea Whigham) entnehmen. Bald entwickelt sich ein regelrechter Kult um Kira. Sogar viele Polizisten verehren den Rächer, doch das gilt nicht für alle. Der exzentrische Sonderermittler L (Lakeith Stanfield), der seinen wahren Namen nicht preisgibt und sein Gesicht verhüllt, will Kira zur Strecke bringen. Er vermutet den mysteriösen Killer in Seattle und arbeitet ausgerechnet mit Lights Vater daran, die Identität von Kira zu enthüllen.

Death Note: Die Kritik

Weniger kontrovers als das Thema Whitewashing, aber dennoch elementar war schon im Vorfeld die Frage, ob es überhaupt gelingen kann, die Story einer ganzen, über Jahren gereiften Comicreihe in einen nicht ganz zweistündigen Film zu pressen, ohne dass es tatsächlich gepresst wirkt. Die Antwort lautet in diesem Fall eher Nein als Ja. Kaum wurde das Death Note aufgeschlagen, sind Light und Mia auch schon ein Paar und der Mythos Kira lebt. An manchen Stellen scheint uns der Film nur schnell das Inhaltsverzeichnis vorzulesen. Vor allem Light und Mia bleiben als Figuren ziemlich blass, ihre Beweggründe werden allenfalls vage angedeutet und dass die beiden sich unabhängig vom verbindenden Element des Todesbuches irgendwie menschlich nahe sind, lässt sich nicht behaupten. Die beiden Charaktere stagnieren in einem unbestimmten Raum zwischen Helden und Anti-Helden. Dadurch erhält der Zuschauer nicht die beste Grundlage, um sich zu fragen, ob und wie er selbst so eine Macht nutzen würde.

Problematisch gestaltet sich außerdem der Charakter L. Zunächst angelegt als exzentrisches Genie, erscheint er zunehmend als emotionales Wrack. Was wohl als komplexes Psychoduell zwischen Light und L gedacht war, wird heruntergebrochen auf eine Feindschaft aus Rachsucht, in der sich beide gegenseitig durch die Straßen jagen. Nicht sehr psychologisch und im Ganzen wenig originell. Der Dämon Ryuk wirkt unheimlich, diabolisch und sadistisch, womit er seinem Anforderungsprofil gerecht wird. Eigentlich ist er der einzige Charakter, von dem man das ohne Abstriche sagen kann.

Death Note Netflix Was die Regeln und Möglichkeiten des Todesbuches angeht, verliert der Film gegen Ende mehr und mehr die Linie. Was bringt es, der Besitzer des Buches zu sein, wenn offenbar jeder Mensch einzelne Seiten daraus benutzen kann? Ich weiß nicht, ob das in der japanischen Vorlage auch so ist und wenn ja, ob es da sinnvoller kommuniziert wird, in diesem Film hat es mich jedenfalls nicht überzeugt.

Natürlich steht bei Filmen wie „Death Note“ immer die Frage nach dem Gore-Faktor im Raum. Muss der Zuschauer Blut sehen können? Ja, schon. „Death Note“ nimmt das „Final Destination“-Erfolgsrezept auf und zeigt die Todesfälle recht plastisch. Da werden dann Alltagsgegenstände zu tödlichen Geschossen. Die Tode müssen allerdings den Naturgesetzen folgen, so will es das Buch. Also keine Hai-Angriffe auf dem Schulklo!

Death Note: Das Fazit

„Death Note“ ist sicherlich nicht der Befreiungsschlag für die amerikanischen Manga-Verfilmungen. Whitewashing hin oder her, tut sich die Netflix-Produktion schwer damit, das interessante Konzept und die Charaktere zu einer ausgewogenen Geschichte zusammenzufügen. Ein gewisser Unterhaltungswert ist vorhanden und optisch stimmt alles, aber über Durchschnitt kommt „Death Note“ nicht hinaus. Das müssen wir so notieren.

Wenn es um beängstigend gute Unterhaltung auf Netflix geht, kann ich schon eher Dokus wie „The Keepers“ oder „Casting JonBenet“ ans Herz legen. Da ist der Schrecken real und die Dämonen sind Menschen.

Death Note: Die Daten

1 Response

  1. Matto sagt:

    Zur Frage, ob das „Besitzen“ des Death Notes wichtig ist, wenn man doch eh nur Fetzen daraus verwenden könnte… ja, ist im Manga wichtig. Verliert man das Buch, verliert man auch jede Erinnerung daran, es jemals besessen oder benutzt zu haben. Generell folgt das Buch relativ komplexen Regeln, die dem Leser immer wieder in Zitatform nahegebracht werden. Manga-Light nutzt diese Regeln auf kreative Weise, um seine Verfolger in die Irre zu führen (teilweise so kreativ, dass man ein Kapitel mehrmals lesen muss, um zu verstehen,
    was da gerade passiert ist).

    Interessant ist auch die Charakterisierung von Ryuk. Im Netflix-Film animiert er Light ständig, das Buch zu benutzen, und wird so die treibende Kraft hinter den Morden. Im Manga ist es umgekehrt. Light nutzt das Buch aus eigenem Antrieb heraus, und Ryuk ist oft überrascht, wie konsequent und grausam Light dabei vorgeht. Er hat zwar seinen Spaß dabei (seine catchphrase ist „Humans are so interesting!“), greift aber nie aktiv ein.

    Teilweise ist es fast prophetisch…
    http://ka10.de/~matto/dn.jpg

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert