Es wird wohl noch sehr viel Wasser den Rhein hinunter fließen, bis ich mal in der Lage bin, mir mehr als eine Handvoll Flüsse zu merken. Alle ein- bis zweimal im Jahr, die ich Stadt-Land-Fluss spiele, erweisen sich die Flüsse als meine Achillesferse. Ein Fluss mit K? Keinen Schimmer. Ein Fluss mit L? Leider Nein. Doch Moment, die Leine. Aber ein Fluss mit H? Hör mir auf!
Zwar weiß ich, dass der Amazonas-Fluss nicht nach einem Online-Shop benannt ist und kann die alte Scherzfrage, ob Teller ODER Tasse tiefer ist, korrekt beantworten, aber mit fließenden (oder stehenden) Gewässern kenne ich mich wirklich nicht gut aus. Dabei gibt es, wie ein bisschen Recherche zeigt, einige außergewöhnliche und (be)merkenswerte Flussnamen mit spannenden Mythen und dramatischen Geschichten.
Am verletzten Knie
Durch den US-Bundesstaat South Dakota fließt der White River, ein Nebenfluss des Missouri River, der auch liebevoll „Big Muddy“ genannt wird, was schon darauf schließen lässt, dass er selten seinen Grund zeigt. Ein Nebenfluss des White River ist wiederum der Wounded Knee Creek, was übersetzt so viel bedeutet wie Verletztes-Knie-Flüsschen. Der Name soll auf ein Ereignis zurückgehen, bei dem sich ein Sioux-Indianer während eines Kampfes am Knie verletzte. Eine tragische Vorschau auf das, was noch kommen sollte. Nach dem Woundet Knee Creek ist außerdem eine kleine Ortschaft mit weniger als 400 Einwohnern benannt, die im 19. Jahrhundert traurige Berühmtheit durch ein Massaker erlangte. Am 29. Dezember 1890 töteten bei Wounded Knee amerikanische Soldaten rund 300 Männer, Frauen und Kinder der Minneconjou-Lakota-Sioux-Indianer. Mehrere Soldaten starben ebenfalls, hauptsächlich infolge des Beschusses durch ihre eigenen Kameraden.
Viele Flüsse in den USA verweisen mit ihren Namen auf die Kultur und Sprache der Ureinwohner sowie auf die Besiedelung durch die Europäer. Der durch Nebraska und Kansas fließende Republican River ist nicht etwa nach der Partei der Republikaner benannt, sondern nach einem Stamm der Pawnee-Indianer, der von spanischen und französischen Siedlern als „The Republicans“ bezeichnet wurde. Auch der Israel River im Bundesstaat New Hampshire kann durch seinen Namen schnell in die Irre führen. Er ist nach einem Jäger und Fallensteller namens Israel Glines benannt. Der Kinchafoonee Creek im Südwesten von Georgia verrät uns etwas über die Muskogee-Ureinwohner. Der Begriff Kinchafoonee stammt aus ihrer Sprache und bezeichnet einen aus Knochen gefertigten Mörser, der zur Zerkleinerung von Nüssen verwendet wurde. Apropos Nüsse: Der texanische Nueces River bedeutet nichts anderes als Nüsse-Fluss und erhielt diesen Namen von Siedlern, die am Flussufer auf viele Pekannussbäume stießen. Der Frenchman River, der sowohl durch den US-Bundesstaat Montana als auch Teile Kanadas verläuft, verdankt seinen Namen höchstwahrscheinlich französischen Siedlern.
Um die Herkunft des Namens Cheat River für einen Nebenfluss des Monongahela Rivers im Osten von West Virginia sowie im Südwesten von Pennsylvania ranken sich verschiedene Legenden. Eine besagt, dass der Fluss nach einem französischen Entdecker benannt ist, der entweder Cheat or Chaet hieß, andere Quellen vermuten, dass der Name auf die Pflanzenart Cheatgrass, welche im Deutschen Dach-Trespe heißt, zurückgeht. Diese Pflanzenart wuchs allerdings nie am Ufer des Cheat River, so dass es möglicherweise eine Verwechslung mit Weizen gab. Populär ist ebenfalls die Theorie, dass mit Cheat tatsächlich das englische Wort für Betrug/Täuschung gemeint ist, da der Fluss mit seinen tiefen Stellen und darin enthaltenen Strudeln Menschen um ihr Leben „betrog“.
Schlitz und Riß
Deutsche Flüsse decken namentlich ein breites Spektrum ab und können bei Stadt-Land-Fluss durchaus für Schmunzler, schlüpfrige Witze oder ungläubiges Staunen bis hin zu handfesten Auseinandersetzungen, die nur Google beenden kann, sorgen. Ja, es gibt tatsächlich einen Fluss namens Schlitz. Der fließt durch Hessen. Durch Baden-Württemberg verläuft derweil die Riß, die zwei Quellbäche namens Kalte Riß und Warme Riß besitzt. Nicht sehr einladend klingt die Mies, die durch Bayern und Tschechien verläuft. Immer Regen gibt es im Osten Bayerns mit diesem gleichnamigen Nebenfluss der Donau, auf den zudem mehrere Städtenamen in der Region zurückgehen, allen voran Regensburg. Ebenfalls nach schlechten Witterungsbedingungen klingt der kleine Fluss Bruchwetter in Niedersachsen. Das Krumme Wasser, ein Zufluss der Ilme, weckt namentlich ebenfalls leichte Besorgnis bezüglich der Umweltbedingungen in Niedersachsen.
Was viele sicherlich nicht wissen: Auch in Nordrhein-Westfalen kann man über den Jordan gehen. Der ist hier allerdings nur 6,5 km lang. Einen Sieg auf ganzer Länge, nämlich 155,2 km, feiert dagegen der gleichnamige Nebenfluss des Rheins. Die Schilde führt derweil auf 40 Kilometer Wasser durch den Westen Mecklenburg-Vorpommerns. Ein echter Schleichgraben verläuft als Nebenfluss der Schwarzen Elster durch Sachsen und Brandenburg. Nicht mit den gleichnamigen Waschmaschinen verwandt, aber dadurch leichter zu merken, ist die Miele. Diese befindet sich in Schleswig-Holstein.
Wir beenden die kleine Exkursion durch die Gewässerwelt Deutschlands mit dem Nonnenfließ. Dieser ca. elf Kilometer lange Fluss in Brandenburg soll der Legende nach auf ein Nonnenkloster verweisen, das bei einer Flut in die Tiefe gerissen wurde, wobei nur eine Nonne überlebte. Diese errichtete ein Kreuz an einer Stelle, die bis heute Eliesenkreuz oder Liesenkreuz genannt wird.
Guy Fawkes hat einen Fluss
Was wir so alles über und durch Flüsse lernen können, ist interessant. Nach Guy Fawkes, dem englischen Offizier, der 1605 ein Sprengstoff-Attentat auf den englischen König Jakob I. und das Parlament versuchte und dessen Gesicht als Symbol der Hackergruppe Anonymous dient, ist ein Fluss im australischen Bundesstaat New South Wales benannt, der Guy Fawkes River. In Australien finden sich außerdem reizende Gewässer wie der Happy Jacks River und der Boonoo Boonoo River. In Frankreich gibt es Flüsse namens Salat, Ton und Touch. Da behaupte noch einer, die Franzosen würden keine Fremdsprachen beherrschen. Sie wissen es nur einfach nicht. In den USA, genauer in Nevada, ist der Humboldt River nach dem deutschen Naturforscher Alexander von Humboldt benannt.