Weil sonst alle brüllen …

Als meine Nichte an ihrem zweiten Geburtstag eine CD mit Kinderliedern auspackte, kam mir ganz unverhofft eine Frage in den Sinn, die mir den ganzen Tag partout nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte: Wer hat die Kokosnuss geklaut?

Gorilla

Ich glaub‘ mich laust der … Gorilla

Ich habe „Die Affen rasen durch den Wald“, dieses kleine deutsche Volkslied über eine in Deutschland nie heimisch gewesene Tierart, seit bestimmt 20 Jahren nicht mehr gehört. Es kam auch nicht auf besagter CD vor. Dennoch waren mir die Melodie und der Refrain in dem Moment, da ich daran dachte, dass ich dieses Lied als Kind so sehr mochte, sofort wieder präsent.

Wo ist die Kokosnuss,
wo ist die Kokosnuss,
wer hat die Kokosnuss geklaut?

Die Affen und der NATO-Doppelbeschluss

1983, dem Jahr meiner Geburt, wurde das Lied „Die Affen rasen durch den Wald“ zu einem Protestsong mit dem Titel „Die Sowjets und die USA“ umgedichtet, als Reaktion auf den umstrittenen NATO-Doppelbeschluss über die Stationierung von Atomraketen in Westeuropa.

Ihr habt das Gleichgewicht,
ihr habt das Gleichgewicht,
ihr habt das Gleichgewicht gestört!

Dass ausgerechnet „Die Affen rasen durch den Wald“ zur rhythmischen Vorlage für einen Protestsong im Kalten Krieg wurde, ist eine interessante Parallele zu einer markanten Zeile des Kinderliedes, die für ein solches eher untypisch ist:

Die Affen rasen durch den Wald,
der eine macht den andern kalt.

Mir war, soweit ich mich erinnere, als Kind grob bewusst, dass „kaltmachen“ etwas Negatives und nicht wortwörtlich gemeint ist, aber mit Töten habe ich es nicht assoziiert. In meiner Vorstellung waren es auch keine echten Primaten, die da durch den Wald rasten, sondern Zeichentrickaffen im Stil von Disneys „Das Dschungelbuch“. Deutsches Liedgut und amerikanische Traumfabrik in Kombination haben die einen oder anderen Eindrücke meiner Kindheit geprägt.

Die Moral von der Raserei

Raufende KinderWas Kinder an diesem Song, dessen Urheber unbekannt ist, mögen und was Erwachsene stört, lässt sich leicht erklären: Es ist ein aggressives Lied, bei dem mehr gebrüllt als gesungen wird und Kinder richtig aus sich herausgehen können. Um diese Ode an das schlechte Benehmen abzumildern und eine Lektion zu vermitteln, wurde „Die Affen rasen durch den Wald“ später um eine mittlerweile gängige letzte Strophe ergänzt:

Und die Moral von der Geschicht
Klau keine Kokosnüsse nicht
Weil sonst die ganze Bande brüllt …

Dieses Ende verdreht die wilde Brüllerei zu der Lektion, dass Stehlen zu Anarchie führt, die aber absolut vermeidbar ist, wenn man sich an die Regeln hält. Gestohlen wurde die Kokosnuss allerdings vom Affenbaby, das gar nicht verstehen kann, was es falsch gemacht hat.

Das Affenbaby voll Genuss
hält in der Hand die Kokosnuss

So endete das Lied in seiner frühesten Fassung einfach nur mit:

Da ruft der Affenopapa
Die Kokosnuss ist wieder da

Eine Lektion bleibt hier aus. Die Affen haben sich quasi grundlos gegenseitig „kaltgemacht“, da es gar keinen richtigen Dieb gab. Die Aufregung verpufft einfach und kann sich in der Form jederzeit wiederholen. So etwas dürfen Kinder natürlich nicht verinnerlichen. Die Welt hat schließlich ihre Ordnung zu haben – weil sonst alle brüllen …

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