Das ist doch paradox!

Das Schiff des Theseus stellt die Identität an sich infrage, die Unterhaltung zwischen einem Krokodil und einer Mutter führt uns in ein Dilemma und eine Ziege hinter einer Tür lässt uns an der Wahrscheinlichkeit zweifeln. Willkommen in der wunderbaren Welt der Paradoxien!

Paradoxien

Fünf, fünf, sechs, fünf, sechs, drei … drei?

Unstimmigkeiten ängstigen uns und was uns ängstigt, fasziniert uns. Schon ziemlich früh in ihrer Geschichte hat die Menschheit begonnen, sich mit so genannten Paradoxien zu befassen, mit Widersprüchen, die auf eine höhere Wahrheit hinweisen können, aber nicht müssen. Viele bekannte Gedankenexperimente haben ihren Ursprung in der Antike und werden bis heute diskutiert. Ein sehr altes Paradoxon lautet so: „Alle Kreter lügen“ sagte der Kreter. Ein Satz, der das ganze logische Empfinden auf den Kopf stellen kann, denn stimmt die Aussage, dass alle Kreter lügen, dann hätte der Kreter nicht gelogen, womit die Aussage, dass alle Kreter lügen, nicht der Wahrheit entspricht. Somit ist die Aussage nur unter der Bedingung wahr, dass sie falsch ist – oder umgekehrt.

Lesen Sie nicht diesen Satz!

Ein weiteres Paradoxon. Wir können der Anweisung, einen Satz nicht zu lesen, nicht folgen, ohne gleichzeitig gegen sie zu verstoßen, denn wir nehmen diese Anweisung nur zur Kenntnis, indem wir den Satz lesen, den wir nicht lesen sollen. Dieses Paradoxon ist noch schwerer zu lösen als jenes mit dem Kreter, bei dem wir immerhin argumentieren können, dass zwar „alle Kreter lügen“, aber nicht alle Kreter immer lügen, was bedeutet, dass der Kreter in diesem Fall die Wahrheit gesagt haben könnte, ohne zu lügen. Diese einfachen Paradoxien sind nur der Einstieg in eine Reihe größerer und komplexerer Paradoxien.

Das Schiff des Theseus

Paradoxien: Schiff des TheseusDie älteste Formulierung dieses philosophischen Problems findet sich bei dem antiken griechischen Schriftsteller Plutarch. Die Szenerie ist folgende: Theseus, ein bekannter Sagenheld, der als Person hier freilich irrelevant ist, besitzt ein Schiff. Nennen wir es „Marathon“. An diesem Schiff müssen über die Jahre immer wieder morsch gewordene Teile ersetzt werden. Erst die Planke, dann die Ruder, bald das Steuer … Wenn die Marathon also Stück für Stück ausgetauscht wird, ist es dann überhaupt noch die Marathon? Entsteht nicht etwas ganz Neues und Eigenes? Wenn dann noch die ausrangierten Teile aus diesem Schiff verwendet werden, um ein neues Schiff zu bauen, ergibt sich plötzlich das Problem der doppelten Identität, denn nun existiert Theseus‘ Schiff zweimal – oder nicht? Welches der beiden Schiffe ist das des Theseus?

Kern dieses Gedankenexperiments ist die Frage des Seins. Verliert ein Objekt, wenn viele oder alle Einzelteile ausgetauscht werden, seine ursprüngliche Identität? Wenn ja, ab wann? Nach der Hälfte der Teile? Nach 90%? Nun ist es kein Geheimnis, dass sich auch Menschen im Laufe ihres Lebens sehr verändern. Allein schon äußerlich. Wir verlieren unsere ersten Zähne und bekommen neue. Uns wachsen neue Haare, unser Körper streckt sich. Manche Menschen erhalten im Laufe ihres Lebens sogar neue Organe wie eine Spenderniere. Trotzdem verlieren wir nicht unsere Identität – oder etwa doch? Auf dem Schiff des Theseus zu segeln kann ganz neue Perspektiven eröffnen. Möglicherweise werden wir aber einfach nur seekrank.

Der Krokodilschluss

Auch dieses Paradoxon hat seinen Ursprung in ferner Vergangenheit, ohne deswegen außer Mode gekommen zu sein. Hier haben wir folgendes Bild: Ein Krokodil hat einer Mutter ihr Kind geraubt. Die Mutter fordert ihr Kind zurück, woraufhin das Krokodil verspricht, das Kind freizugeben, wenn die Mutter richtig errät, was es mit dem Kind tun wird. Die Mutter antwortet dem Krokodil: „Du gibst mir das Kind nicht wieder“. Das Krokodil sieht sich als Gewinner, aber die Frau erwidert: „Ich muss mein Kind unbedingt zurückerhalten, entweder, auf Grund unserer Vereinbarung, weil ich richtig erraten habe, dass du das Kind nicht zurückgibst, oder, wenn ich falsch geraten habe, gemäß deines Vorhabens, das Kind zurückzugeben“. Das Krokodil wiederum kann nun erklären, dass es das Kind nicht zurückgeben muss, entweder, weil es vorhatte, es zurückzugeben, womit die Mutter falsch geraten hätte, oder, weil die Mutter selbst die Möglichkeit der Rückgabe durch ihre Worte „Du gibst mir das Kind nicht wieder“ ausgeschlossen hat.

Aus Vereinbarung und Folge entsteht ein fehlerhafter Kreis. Es ist gemäß der Vereinbarung richtig, wenn die Mutter sagt, dass sie ihr Kind nicht zurückbekommt, aber gleichzeitig schließt sie damit die Folge, das Kind zurückzubekommen, aus. Daraus lernen wir, dass es einfach keine gute Idee ist, mit einem Krokodil zu diskutieren. Allerdings könnten das Krokodil und die Mutter auch zwei Römer namens Korax und Teisias sein. Überliefert ist, dass Teisias bei dem brillanten Redner Korax, bekannt für seine Auftritte vor Gericht, Unterricht nehmen wollte, diesen aber nicht bezahlen konnte. Daher versprach Teisias, er werde seine Schulden begleichen, sobald er den ersten Prozess gewinnt. Nachdem Korax seinem Schüler nichts mehr beibringen konnte, forderte er seine Bezahlung, doch Teisias weigerte sich. Daraufhin zog Korax vor Gericht und argumentierte, er müsse in jedem Fall sein Geld bekommen, entweder, weil er den Prozess gewinnt und ihm damit das Geld zugesprochen wird, oder weil er verliert und so Teisias seinen ersten Prozess gewinnt, womit die einst getroffene Vereinbarung greift. Teisias dagegen erklärte, er müsse auf keinen Fall bezahlen, denn entweder er gewinnt den Prozess und Korax‘ Klage wird abgewiesen oder er verliert, dann wäre die Vereinbarung mit Korax nicht erfüllt.

Das Ziegenproblem

„Nehmen Sie an, Sie wären in einer Spielshow und hätten die Wahl zwischen drei Toren. Hinter einem der Tore ist ein Auto, hinter den anderen sind Ziegen. Sie wählen ein Tor, sagen wir, Tor Nummer 1, und der Showmaster, der weiß, was hinter den Toren ist, öffnet ein anderes Tor, sagen wir, Nummer 3, hinter dem eine Ziege steht. Er fragt Sie nun: ‚Möchten Sie das Tor Nummer 2?‘ Ist es von Vorteil, die Wahl des Tores zu ändern?“

Paradoxien: Das ZiegenproblemDiese Frage erschien 1990 so, wenngleich natürlich auf Englisch, in einer amerikanischen Kolumne und führte zu kontroversen Debatten auf dem Feld der Wahrscheinlichkeitstheorie. Hat das Wissen darum, was hinter Tor 3 ist, Auswirkungen auf die bereits zuvor getroffene Wahl zwischen Tor 1 und Tor 2? Eine wesentliche Rolle bei diesem Gedankenexperiment nimmt der Showmaster ein, den wir einfach mal Bob nennen. Was sind seine Motive? Will er der Kandidatin, die wir Astrid taufen, helfen oder im Gegenteil verhindern, dass sie das Auto gewinnt? Hat Astrid den Eindruck, dass Bob es gut mit ihr meint, sollte sie zu Tor 2 wechseln, denn dann kann sie davon ausgehen, dass er sie von ihrer falschen Wahl abbringen will. Muss Astrid hingegen befürchten, dass Bob gegen sie agiert, sollte sie bei Tor 1 bleiben, um nicht in eine Falle zu tappen. Der Showmaster kann allerdings auch völlig neutral oder zumindest absolut undurchschaubar sein. Eine Frage, die dieses Gedankenspiel ebenfalls nicht beantwortet: Darf Astrid wenigstens die Ziegen behalten?

Wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind

Im Leben begegnen uns so manche Paradoxien, die wir kaum wirklich wahrnehmen. Eine bekannte Weisheit besagt, dass Konkurrenz das Geschäft belebt, aber stimmt dies wirklich? Tatsächlich kann es zum so genannten Konkurrenzparadoxon kommen. Dabei handelt es sich um Situationen, in denen Maßnahmen, die eigentlich einen Wettbewerbsvorteil bringen sollen, eben dies nicht tun oder gar zum Nachteil werden, wenn alle anderen diese Maßnahmen ebenfalls ergreifen. Ganz typisch für uns Menschen ist das Streben nach Fortschritt. Wir wollen mit immer weniger Aufwand immer mehr erreichen. Dabei übersehen wir womöglich das Paradies-Paradoxon, das auf den russischen Wirtschaftswissenschaftler Wassily Leontief zurückgeht. Dieses Gedankenspiel besagt, dass wenn Menschen im Zuge der technischen Weiterentwicklung eines Tages nicht mehr selbst Güter herstellen und Dienstleistungen erbringen müssten, es keine Arbeitsplätze mehr gäbe und folglich keine Löhne ausgezahlt werden. Entsprechend könnte kein Mensch die Güter konsumieren oder die Dienstleistungen nutzen.

Als Warnung kann außerdem das Ikarus-Paradox verstanden werden, das der kanadische Wissenschaftler Danny Miller beschreibt. Dieses Gedankenexperiment befasst sich mit Faktoren, die erst zum Erfolg eines Unternehmens oder einer Person führen, um später für ihren Niedergang verantwortlich zu sein. So können selbstbewusste Geschäftspraktiken, die anfänglich sehr erfolgreich waren, zunehmend in verheerende Arroganz und Selbstüberschätzung umschlagen. Zudem kann das sture Festhalten an einst lukrativen Produkten, die nun nicht mehr gefragt sind, zum Absturz führen, vergleichbar mit der Sagengestalt Ikarus, die auf Wachsflügeln zu nah an die Sonne flog und ins Meer fiel.

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