Die Geschichte vom Schienenwolf

Einen Menschen, der ein einsames, freies und wildes Leben von Bahnhof zu Bahnhof führt, der durch Länder reist, ohne eine feste Heimat zu kennen, der aus Überzeugung immer unterwegs ist, den nennen wir … nicht Schienenwolf. Das wäre zwar ein interessanter Ausdruck für eine Person mit solcher Lebensweise, doch der Schienenwolf ist oder war etwas völlig anderes – und nichts, an das wir uns gerne erinnern. Er bewohnt die düsteren Kapitel unserer Geschichtsbücher.

Schienenwolf

Hungry like a Wolf

Der Schienenwolf trug auch die weniger subtile Bezeichnung „Schwellenreißer“. Als krallenartige Vorrichtung an Güterwaggons diente er dazu, die Holzschwellen eines Bahngleises zu zerbrechen und so unbrauchbar zu machen. Zum Einsatz kam der Schienenwolf vor allem in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs.

Wenn wir diesen Krieg schon verlieren …

Schienenwolf

Schienenwolf, 1944 (Quelle: Bundesarchiv)

… dann machen wir hier wenigstens alles kaputt! Am 19. März 1945, im Angesicht der Niederlage, erließ Adolf Hitler den so genannten „Befehl betreffend Zerstörungsmaßnahmen im Reichsgebiet“, der heute nur noch kurz „Nerobefehl“ genannt wird, in Anlehnung an den antiken Kaiser, der Rom absichtlich in Brand gesteckt haben soll. Ziel dieses Befehls war es, dem vorrückenden Feind eine unbrauchbare Infrastruktur zu hinterlassen. Diese Kriegstaktik, die bis heute in Konflikten Anwendung findet, ungeachtet ihrer Einstufung als völkerrechtswidrig, trägt die Bezeichnung „Verbrannte Erde“. Letztlich umschreiben die feurigen Metaphern nichts anderes als blinde, rücksichtslose Zerstörung, die das Leid der Menschen verschärft und die Rückkehr in den Frieden behindert.

Der „Nerobefehl“ von 1945 wirkt aus heutiger Sicht wie eine Zusammenfassung der selbstmörderischen Kriegstaktik Deutschlands, hatte an sich aber keine großen Auswirkungen mehr, da er im finalen Chaos kaum noch ausführbar war. Bereits zuvor, im Jahr 1944, hatte die fast geschlagene deutsche Wehrmacht bei ihrem Rückzug damit begonnen, alles hinter sich in Schutt und Asche zu legen. Der Gegner sollte behindert werden, kostete es, was es wollte. Den hohen Preis mussten die Deutschen am Ende selber zahlen. Eines der wichtigsten Werkzeuge dieser rücksichtslosen Zerstörung war der Schienenwolf.

Mit seiner Kralle aus Stahl durchbrach der Schienenwolf die Holzschwellen, die zersplitterten, sich verbogen und aus ihrer Halterung gerissen wurden. Das Gleisbett war danach nur noch ein Trümmerfeld, auf dem keine Züge mehr fahren konnten – weder die eigenen noch die des Feindes. Der Schienenwolf wurde so zum Symbol für die Zerstörung eigener Errungenschaften.

Der Schienenwolf in der Literatur

Mit dazu beigetragen, dass der Schienenwolf nicht in Vergessenheit gerät, hat Arno Schmidt mit seiner 1946 veröffentlichten Erzählung „Leviathan oder Die beste der Welten“. Die Handlung spielt im Februar 1945 und dreht sich um eine Gruppe von Deutschen, die mit einer Lokomotive vor der russischen Armee aus Polen zu fliehen versucht. An dem gekaperten Waggon hängt noch ein „Schwellenreißer“, der die Gleisen hinter sich zerstört.

Schienenwolf im Einsatz

Es sind Filmaufnahmen davon erhalten, wie deutsche Soldaten den Schienenwolf einsetzen, um tiefe Wunden in die Infrastruktur des eigenen Landes zu reißen. Alles im Namen eines Krieges, der zu jener Zeit längst verloren war.

 

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Literatur

  • Andreas Knipping, Reinhard Schulz: Die Deutsche Reichsbahn 1939–1945. Zwischen Ostfront und Atlantikwall, 2006
  • Alfred Gottwaldt: Deutsche Reichsbahn: Kulturgeschichte und Technik, 2000

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