„Eight Ball Boogie“. Der talentierte Mr. Rigby

Alte, schmutzige Kleidung, übermäßiges Rauchen und Trinken, den Pleitegeier ständig im Nacken, ein zynisches Weltbild und ein total verkorkstes Familienleben. All dies – und noch einiges mehr – tolerieren oder sogar bewundern wir nur bei einer Sorte Mensch: (Männlichen) Privatdetektiven. Seit die amerikanische Literatur in den 1920er Jahren den Typus des „Hardboiled Detective“ geschaffen hat, lieben wir diese Typen. Harry Rigby ist so ein Typ.

Eight Ball Boogie

Tödliche Spiele

Declan Burke hat in seinem Roman „Eight Ball Boogie“, in Deutschland erstmals erschienen am 5. März 2018, einen klassischen Privatschnüffler entwickelt, der Amerikaner sein könnte, wäre er nicht Ire. Eight Ball Boogie“ verlegt das Hardboiled-Genre nach Irland in die Zeit nach dem wirtschaftlichen Boom. Wir lernen Harry Rigby kennen, einen abgewrackten Detektiven und Gelegenheitsjournalisten, der mal wieder von seiner Freundin vor die Tür gesetzt wurde, obwohl es eigentlich seine Wohnung ist, und der die Möglichkeit hat, durch zwei gleichzeitige Jobs Geld zu verdienen, wenn er sie denn überlebt.

„Ich tu nichts, es tut mich“

Eight Ball Boogie

Buchcover. Quelle: Edition Nautilus

Kurz vor Weihnachten erhält die Politikergattin Imelda Sheridan mitten in der Nacht Besuch – der Weihnachtsmann ist es nicht. Sie fällt einem Killer zum Opfer, der unerkannt entkommt. Während Harry Rigby noch überlegt, wie er eine Story über den Fall erfolgreich verkaufen kann, erhält er von dem zwielichtigen Geschäftsmann Frank Conway den Auftrag, dessen Frau Helen zu beschatten, um herauszufinden, ob sie eine Affäre hat. Harry ahnt, dass Conway ihm etwas verschweigt, nimmt den Job aber dennoch an. Damit erregt er die ungeteilt brutale Aufmerksamkeit der beiden Polizisten Ronan Brady und Senan Galway, die es auf Conway abgesehen haben.

Fremde, die ihn mies behandeln, sind für Harry zumindest emotional nicht so stressig wie seine Liebsten, die ihm kaum weniger übel mitspielen. Die Beziehung zu seiner Freundin Denise, mit der ihn eigentlich nur noch der vierjährige Sohn Ben verbindet, gleicht einem Scherbenhaufen und nun hat sich auch noch sein soziopathischer Bruder Gonzo, der fünf Jahre verschwunden war – und damit keinen Tag zu viel – zum Weihnachtsbesuch angemeldet. Ein Lichtblick für Harry könnte zumindest die junge Journalistin Katie sein, die ebenfalls an dem Fall der ermordeten Imelda Sheridan interessiert ist.

Bevor Harry die ermordete Frau, die vermeintliche Affäre, sein Beziehungsleben, seinen Bruder und die neue Bekannte unter einen Hut bringen kann, steckt er bereits knietief im tödlichen Schlamassel. Auf beiden Seiten des Gesetzes scheint man ihn plötzlich unbedingt tot sehen zu wollen.

„Man spielt den Spieler, nicht die Karten“

Harry Rigby fängt uns als Ich-Erzähler mit seinen zynischen Sprüchen und Gedanken ein. Wenn ihm sonst nichts bleibt, dann doch wenigstens sein vor Schwärze triefender Galgenhumor. Ich mag diese Art von Witz, die hart, unpassend und deftig ist. Harry macht sich keine Illusionen über sich selbst und seine Situation. Er ist ein abgebrannter Verlierer mit mehr Geschwür als Magen und einem Leben, das man auch gut und gerne die Toilette runterspülen könnte. Wir Leser mögen ihn natürlich. Uns gefällt seine Bissigkeit, seine Zähigkeit, seine dreckige, kaputte Art zu leben. Schließlich ist er Privatdetektiv.

Wenngleich nicht im eigentlichen Sinne mit Talent gesegnet, fügt sich Harry im Laufe der Handlung perfekt in verschiedene Rollen ein: Ermittler, Verdächtiger, Prügelknabe, Stehaufmännchen, Erpresser, Vater. Vor allem das Aufstehen beherrscht er meisterhaft, bereits jenseits des physischen Realismus‘. Natürlich erwarten wir auch das von einem Privatdetektiv, dessen Lebensstil tödlich ist: das er immer irgendwie überlebt. Je mehr er abkriegt, desto besser kommt der Zynismus zur Geltung. Hardboiled, Baby!

Die Handlung ist verworren, um noch rechtzeitig entwirrt zu werden, hinterlässt dabei aber keinen bleibenden Eindruck. Sofort nach der letzten Seite hat man die Zusammenhänge wieder vergessen. Die gesamte Auflösung erwartet von uns Lesern, hinzunehmen, dass diese und jene Personen dies und das getan haben, ohne dass uns ihre Motivation, ihre Ziele oder ihre Gefühle füreinander überzeugend vermittelt werden. Vielleicht ist das sogar unvermeidlich bei einem Roman, der die Handlung ausschließlich aus der Sicht eines Mannes wiedergibt, der permanent verprügelt, angeschossen, beschimpft und bedroht wird und echt keinen Bock mehr hat. Um es mit seinen Worten zu sagen: „Ich habe keine Lust auf die beschissenen Details.“

That’s the Eight Ball Boogie

Eight Ball BoogieDer Titel „Eight Ball Boogie“ ist eine Billard-Referenz, auch wenn das beliebte Kneipenspiel nur in einer Szene nennenswert auftaucht. Ohne zu viel verraten zu wollen, bezieht sich „Eight Ball Boogie“ letztlich auf Gonzo, Harrys gemeingefährlichen Bruder, dessen richtiger Name Eddie lautet. Gonzo braucht nicht viele Auftritte, um sehr präsent zu sein. Er spielt in Harrys Gedanken eine wesentliche Rolle und kann als Plädoyer für das Einzelkindsein verstanden werden.

Wem darf ich diesen Roman nun empfehlen? In erster Linie wohl Freunden des Hardboiled-Genres, die ihre Helden heruntergekommen, sarkastisch, emotional verkrüppelt, nah am Abgrund und doch irgendwie unverwüstlich mögen. Es ist kein Meisterkrimi, den uns der Autor Declan Burke hier präsentiert, aber wer sich einfach in Harrys dreckige kleine Welt fallen lässt, in der niemand Vertrauen verdient und an jeder Ecke schwere Körperverletzung oder verbale Tiefschläge warten, wird ordentlich unterhalten. Declan Burke ist übrigens nicht nur Schriftsteller und Journalist, sondern außerdem Blogger. Sein Blog heißt Crime Always Pays und dreht sich, wie kann es anders sein, um Kriminalliteratur.

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