Früher war nicht nur mehr Lametta, sondern auch mehr Video. Kinder der 1980er und 1990er Jahre dürften so manche lebhafte Erinnerung an die klobigen Kassetten zum Aufnehmen und Abspielen von Filmen oder Serien besitzen. Obwohl die meisten von uns dieses Kapitel längst abgehakt haben, endete es offiziell erst im Juli 2016.
Das japanische Unternehmen Funai Electri, der weltweit letzte Hersteller von Videokassetten und Videorekordern, stellte im Sommer 2016 den Betrieb ein. Die größte Überraschung ist wohl, dass das Unternehmen so lange durchgehalten hat. Mit dem Aufkommen der DVD und des Festplattenrekorders versank die Videokassette zunehmend in der Bedeutungslosigkeit. Die neuen Speichermedien bieten einfach höhere Qualität, sind praktischer, effektiver und hinterlassen nicht den berühmt-berüchtigten „Bandnudelsalat“. Nach und nach sprangen die Hersteller von Videorekordern und Videokassetten ab und wechselten in den moderneren Markt über. Mittlerweile läuft es für die DVD freilich auch nicht mehr so rund, denn mit Streamingplattformen á la Netflix verliert sie an Stellenwert. Der Festplattenrekorder gleich mit. Das Ende der DVD ist aber noch (lange?) nicht in Sicht.
Die Geschichte der Videotechnik. In kurz
Der Grundstein für die Videotechnik wurde in den 1930er Jahren gelegt, als die AEG-Telefunken AG in Berlin ein Tonbandgerät entwickelte, das Bandmaterial magnetisieren und die daraus resultierenden Felder wieder auslesen konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg profitierte das amerikanische Unternehmen Ampex von deutschen Patenten wie denen der AEG, die erbeutet werden konnten oder im Zuge von Reparationsforderungen an die USA gefallen waren, und baute in den 1950er Jahren das erste massentaugliche Tonbandgerät. Dieses kostete allerdings so viel wie heute ein Kleinwagen. In den folgenden Jahren gelang es Ampex, ein Gerät zu konstruieren, das neben Ton- auch Bildsignale in einer soliden Qualität, allerdings noch ohne Farbe, aufnehmen und wiedergeben konnte: den Quadruplex. Sein Gewicht betrug stolze 600 kg. Aufzeichnen konnte er circa 95 Minuten. Er wurde vor allem im professionellen Sektor, etwa von TV-Anstalten, verwendet. Für den privaten Bereich war er zu teuer und zu kompliziert in der Bedienung. Mit dem Farbfernsehen kam bald der farbfähige Videorekorder auf, weiterhin in der Größe eines Kleiderschranks.
Nach und nach wagten sich immer mehr Unternehmen an die Videotechnik, wie beispielsweise Bosch, Philips, Grundig und schließlich Sony, das zum Marktführer werden sollte. Die Technik wurde weiterentwickelt, die Preise sanken genau wie Größe und Gewicht der Geräte. Der Videorekorder hielt Einzug in die normalen Haushalte. Als Standard für private Videoaufzeichnungen setzte sich das Video Home System, kurz VHS, durch.
Die klassische VHS-Kassette enthält ein langes Magnetband, welches beim Abspielen im Videorekorder von einer Spule auf eine andere gewickelt wird. Die VHS-Kassette wird nicht umgedreht, sondern zurückgespult, um wieder an den Anfang der Aufzeichnung zu gelangen. Der wiederholte Spul-Vorgang kann das Magnetband in Mitleidenschaft ziehen und die Qualität der Aufzeichnung vermindern oder gar die gesamte Videokassette zerstören.
Video und ich
Meine Erinnerungen an die Videotechnik beginnen mit „Alice im Wunderland“. Mein Vater hat für mich immer die Folgen der gleichnamigen Animeserie, in die ich als Kind total verliebt war, aufgenommen. Auch das allererste Kaufvideo, das ich bekam, war „Alice im Wunderland“, in diesem Fall der Disney-Zeichentrickfilm von 1951.
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich meinen ersten eigenen Videorekorder bekam. Es war ein Modell, das meine Eltern ausrangiert hatten, um sich ein neues zu kaufen. So ein eigener Videorekorder bedeutete ein Stück Freiheit – die Freiheit, eine Fernsehsendung verpassen und sie doch sehen zu können. Dann war da noch die Möglichkeit, sich Videofilme auszuleihen. Die nächste Videothek lag allerdings einige Kilometer entfernt und war für mich nur erreichbar, wenn mich jemand hinfuhr. Dies trug wohl mit dazu bei, dass die Videothek für mich ein nahezu magischer Ort war. All diese Videokassettenhüllen, die Plakate, die Aufsteller und die Grabbelkisten mit den aussortierten Videos in total verblichenen Hüllen, für die man fast Mitleid empfinden konnte. Der Ausflug in die Videothek war für mich immer sehr spannend und mit dem reizvollen Druck verbunden, bei der großen Auswahl an Filmen die richtige Entscheidung zu treffen. Ich kann stolz verkünden, mir auf Video nie einen Film ausgeliehen zu haben, der für die Goldene Himbeere nominiert war. Das habe ich mir für die DVD aufgehoben.
Die Sache mit dem Videorekorder und den Videokassetten artete bei mir zeitweise in die Angewohnheit aus, komplette Serien und zahllose Filme aufzunehmen und säuberlich zu archivieren, mit Beschreibung des Inhalts und persönlicher Bewertung in Schulnotenform. Der Grundgedanke war, sich diese Aufnahmen mehrmals anzusehen, was ich aber nicht wirklich umgesetzt habe. Die meisten der Videokassetten schafften es nur in den Rang eines Staubfängers. So habe ich wenigstens über mich gelernt, dass ich nicht der Typ dafür bin, mir ein Speichermedium aus dem Regal zu nehmen, es ins Gerät zu schieben, anzustellen und bis zum Schluss laufen zu lassen, wenn ich mich bereits einmal davon überzeugen konnte, dass der Gärtner der Mörder war. Solange ich einen Videorekorder besaß, störten mich die unterforderten Videokassetten aber nicht, sie konnten zumindest als Beweise meiner filmischen und technischen Kompetenz herhalten. Mit dem Erwerb meines ersten DVD-Players wurden die zahllosen Videokassetten dann allerdings ein Problem für mich. Außerdem trat ich langsam in die Phase ein, in der mir einige der aufgezeichneten Filme und Serien eher peinlich waren. Von wegen filmische Kompetenz und so. Daher mussten die Kassetten verschwinden.