Alle vier Jahre versammeln sich die besten Fußballnationen der Welt, um in einem Turnier den Champion zu ermitteln, der sich Weltmeister nennen darf. Im Sommer 2018 wird das bedeutendste Turnier für Fußball-Nationalmannschaften bereits zum 21. Mal ausgetragen. Die 20 Turniere zuvor sind alle auf ihre Weise in die Geschichte eingegangen.
Mit großen Siegen, tragischen Niederlagen, Skandalen, Überraschungen, wunderschönen Toren und Einzelschicksalen haben die Weltmeisterschaften bleibende Eindrücke hinterlassen. Die Anzahl derer, die sich als Zeitzeugen an die ersten drei oder vier Turniere erinnern können, wird freilich immer geringer. Gerade diese ersten Weltmeisterschaften, die geprägt waren von politischen Unruhen, noch nicht ganz ausgereiften Regeln und geringem finanziellen Spielraum üben heute eine große Faszination aus. Zur Einstimmung auf die Weltmeisterschaft 2018 in Russland widme ich mich einigen interessanten, kuriosen und dramatischen WM-Geschichten aus der WM-Geschichte. Dieser Beitrag ist quasi die 1. Halbzeit.
Aus Zwei wird nicht eins
Deutschland ist mit bislang vier Weltmeistertiteln eine der erfolgreichsten Fußballnationen aller Zeiten. Nur Brasilien darf einen Stern mehr auf dem Trikot tragen. Der (erste) Stern Deutschlands ging bei der fünften Weltmeisterschaft, ausgetragen im Jahr 1954 in der Schweiz, auf. Der Weg zu diesem Triumph war beschwerlich. Nicht von ungefähr ist der Sieg im Finale über Ungarn keine zehn Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs als „Wunder von Bern“ in die Geschichte eingegangen. Der Nationalsozialismus hatte dem deutschen Fußball schwere Schäden zugefügt, bereits vor Ausbruch des weltumspannenden Krieges. So musste bei der WM 1938 in Frankreich ein deutsches Team antreten, das es so nie hätte geben dürfen.
Im März 1938 war Deutschland in Österreich einmarschiert und hatte sich das Nachbarland, ohne einen Schuss abgeben zu müssen, einverleibt. Dieser so genannte „Anschluss“ Österreichs an Deutschland bedeutete auch das vorläufige Ende der österreichischen Fußballnationalmannschaft, die für die WM 1938 in Frankreich qualifiziert war. Stattdessen sollten österreichische Spieler nun in die ebenfalls qualifizierte deutsche Nationalmannschaft integriert werden. Jeder, der damals Ahnung vom Fußball hatte, wusste, dass dies eine schlechte Idee war, die Nazi-Führung jedoch zwang den Bundestrainer Sepp Herberger dazu, immer sechs Deutsche und fünf Österreicher – oder umgekehrt – aufs Feld zu schicken.
In dem zusammengewürfelten „großdeutschen“ Team stimmte es von Anfang an nicht. Man war sich nicht grün und konnte keine Einheit bilden. Die Mannschaft war überhaupt nicht eingespielt, als sie zur WM reiste. Auch die äußeren Bedingungen erwiesen sich als sehr unglücklich. Der deutsch-österreichischen Mannschaft schlug viel Hass entgegen, die Welt befand sich durch die deutsche Expansionspolitik bereits am Randes des Krieges. Deutschland schied in der ersten Runde aus. So schlecht lief es danach für ein deutsches Team bei einer WM nie wieder. Was nicht passt, kann eben nicht passend gemacht werden.
Südamerika sieht rot
Die WM 1938 war nicht nur für Deutsche und Österreicher ein trauriges Kapitel. An dem Turnier in Frankreich nahm mit Brasilien nur eine südamerikanische Nation teil – Argentinien und Uruguay boykottierten das Event aus Wut über den Fußballweltverband FIFA. Dieser hatte zwar eine gleichmäßige Rotation des Austragungslandes zwischen Europa und Südamerika angekündigt, die WM 1938 dann aber doch an Frankreich vergeben, nachdem vier Jahre zuvor Italien das Austragungsland gewesen war und somit Südamerika an der Reihe gewesen wäre. Die Südamerikaner fühlten sich verschaukelt und blieben dem Turnier fern, abgesehen von den Brasilianern, deren „Racheplan“ darin bestand, das Turnier zu gewinnen. Dazu kam es aber nicht.
Im Halbfinale gegen Italien zog Brasilien den Kürzeren und musste sich dem amtierenden Weltmeister knapp geschlagen geben. Die Brasilianer entdeckten nun auch den Zorn auf die FIFA für sich, sahen sich benachteiligt, da im ganzen Turnier ausschließlich europäische Schiedsrichter eingesetzt wurden, und drohten mit einem Austritt aus dem Fußballweltverband. Auch dazu kam es freilich nicht und Brasilien sollte den Titel in den kommenden Jahrzehnten so einige Male gewinnen.
Vom Brasilianer zum Italiener
Als Fußballnationen sind Brasilien und Italien durch einen Spieler besonders verbunden: José Altafini. Heute können Spieler die Nationalmannschaft nicht mehr wechseln, nachdem sie mindestens ein Pflichtspiel für ein Land bestritten haben, früher hat man da nicht so genau hingeschaut. José Altafini wurde als Sohn italienischer Auswanderer in der brasilianischen Stadt Piracicaba geboren. Der schnelle Mittelstürmer, der in seinem Geburtsland auch „Mazzola“ genannt wurde, nahm 1958 mit Brasilien an der WM in Schweden teil. Er kam in drei Partien zum Einsatz und schoss zwei Tore. Brasilien gewann das Turnier mit einem Finalsieg über den Gastgeber. Vier Jahre später fuhr Altafini erneut zu einer Weltmeisterschaft – diesmal als Spieler Italiens. Der gebürtige Brasilianer mit italienischen Wurzeln war mittlerweile zum italienischen Verein AC Mailand gewechselt. Im Gegensatz zu heute gerieten brasilianische Spieler, die in Europa ihr Geld verdienten, aus dem Blickfeld ihres Nationalteams.
Ohne realistische Chancen, jemals wieder für Brasilien aufzulaufen, ließ sich Altafini für das Auswahlteam Italiens gewinnen. Nur mit eben jenem Gewinnen klappte es im neuen Nationaltrikot nicht so. Bei der WM 1962 in Chile schied Italien bereits in der Vorrunde aus. Altafinis Ex-Nation verteidigte hingegen den Titel, den sie in Schweden auch mit der Hilfe von Altafini errungen hatte. Bitter. Insgesamt bestritt Altafini acht Spiele für Brasilien und sechs Spiele für Italien. Für Italien schoss er ein Tor (5) mehr als für Brasilien (4).
Haitianisches Märchen
Wenngleich bisher erst acht verschiedene Mannschaften eine Weltmeisterschaft gewinnen konnten, gab und gibt es bei den Turnieren immer wieder überraschende Triumphe und kleine Erfolgsgeschichten. Eine davon schrieb die haitianische Nationalmannschaft. Diese konnte sich 1974 zum ersten und bisher einziges Mal für eine Teilnahme qualifizieren. Ein Sieg gelang dem Auswahlteam des karibischen Inselstaates nicht, was niemanden ernstlich überraschte, doch für einen Moment konnte der „Fußballzwerg“ auf sich aufmerksam machen: Emmanuel Sanon, der in seiner Karriere 100 Mal für Haiti auflief, erzielte im Gruppenspiel gegen Italien die Führung und überwand Torwart Dino Zoff, der bis zu jenem Zeitpunkt zwei Jahre ohne Gegentor in der Nationalmannschaft geblieben war. Das Spiel verlor Haiti am Ende mit 1:3.
Was Haiti gelungen ist – sich für eine Weltmeisterschaft zu qualifizieren – haben viele andere Nationen bisher noch nicht geschafft. Man kann daraus ein ganz wunderbares Quiz machen.
Welche dieser Nationen war noch nie bei einer Weltmeisterschaft dabei?
A) Trinidad und Tobago
B) Finnland
C) Jamaika
D) Tunesien
Die Antwort ist …. kurzer Moment der Spannung. Noch mal schnell aufs Klo … B) Finnland. Auch – um nur einige Beispiele zu nennen – Albanien, Lettland, Estland, Puerto Rico, Kenia und Armenien waren noch nie bei einer Weltmeisterschaft am Start. Dafür aber mit Niederländisch-Indien, Zaire und der DDR mehrere Nationen, die es so heute gar nicht mehr gibt.
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