Der Klimawandel wirkt sich auch auf den deutschen Schlager aus. Rudi Carrells Hit „Wann wird‘s mal wieder richtig Sommer?“ aus dem Jahr 1975 schien unsterblich zu sein, die Textzeile „und nicht so nass und so sibirisch wie im letzten Jahr“ traf gefühlt immer ins Schwarze. Schnapszahlige 44 Jahre später will der Song einfach nicht mehr so recht passen, stiegen doch in diesem Sommer (2019) die Hitzerekorde munter vor sich hin, während der vergangene Sommer (2018) durch seine Regenlosigkeit einer Dürre glich. Grund genug, mal der Behauptung des Schlagers nachzugehen, früher wäre es ganz genau so gewesen, mit „bis zu 40 Grad im Schatten“.
Die alten Sommerfotos, von denen ich erfrischend viele in meiner Sammlung habe, stammen fast alle aus Deutschland, da die Menschen damals deutlich weniger reisten. Das erlaubt authentische Einblicke in die deutschen Sommer der Vergangenheit. Freilich wurde versäumt, in den Fotoalben die Gradzahlen oder wenigstens die Anzahl der Sonnenstunden pro Tag zu notieren. Weiterhin fehlen Angaben zur Wassertemperatur, zur Niederschlagsmenge und zum Durchmesser des Sommerlochs. Die oft zitierte Formulierung „seit Wetteraufzeichnung“ sollte besser keine übertriebenen Erwartungen wecken. Bei den alten Paarfotos habe ich noch spekuliert, dass der Juli 1930 der besungene „richtige Sommer“ von früher war. Jetzt favorisiere ich andere Kandidaten.
Die Badesaison ist eröffnet
Das ist auf jeden Fall eines meiner Lieblingsbilder. Der kleine Sonnenschirm, die Badekappe und die Brille als Requisiten verleihen diesem Strandfoto etwas Komödiantisches. Aufgenommen wurde das Bild im Sommer 1929. Damals trugen Frauen noch recht züchtige Badeanzüge, fingen aber langsam an, Bein zu zeigen. Die Männer stellten bereits sehr viel zur Schau, nur offenbar keine Haare. Nicht einmal auf der Brust. Interessant: Mister Badekappe ist im Vergleich zu seinen Mitstreitern selbst auf einem farblosen Foto als deutlich braungebrannter zu erkennen. Die durchschnittliche Temperatur lag in jenem Sommer 1929 mit 16,4 Grad Celsius leicht höher als der Sommer-Durchschnitt der gesamten 1920er Jahre (16,0 Grad), aber deutlich tiefer als 2018 (19,3 Grad).
So wie auf diesem Foto stellen sich heute vermutlich viele Menschen die damaligen Sommer der einfachen Bevölkerung fernab der Küsten vor: Eine Holzwanne, einen großen Eimer oder ein ähnliches Gefäß gefüllt mit Wasser als minimalistisches Badevergnügen für die Kinder. Diese Annahme ist nicht falsch, ich besitze einige solcher Bilder. Eigene Schwimmbecken für den Garten kamen erst nach dem Zweiten Weltkrieg langsam auf, bis zu preisgünstigen Kinderplanschbecken zum Aufpumpen dauerte es noch etwas länger. Dieses Bild entstand während des Zweiten Weltkriegs in den 1940er Jahren. Auch in schlimmen Zeiten scheint manchmal die Sonne und das so kräftig, dass Kinder mit Latzhose ins Wasser gehen. Es sei ihnen mehr als gegönnt.
Überbelichtet, zerkratzt und schmutzig. Mit diesem Urlaubsbild von der Nordsee ist dem Fotografen kein Meisterwerk gelungen, so ehrlich müssen wir sein, aber zu seiner Entschuldigung sollte festgehalten werden, dass es möglicherweise ein wenig windig, er ganz bezaubert von den beiden Damen und es 1935 war. Dass der Fotograf durchaus eine Frau gewesen sein könnte, widerspricht meinen Thesen dabei nicht. Dieses Foto hat etwas sehr Ursprüngliches und Unperfektes an sich, das zu alten Aufnahmen einfach dazugehört. Im Sommer 1935 lag die Durchschnittstemperatur übrigens bei 17,2 Grad.
Diesem Bild gebe ich den Titel: „Männerbadetag 1928“. Ich weiß nicht, an welchem See dieses Foto aufgenommen wurde, aber Mann scheint Frauen dort nicht mit hingenommen zu haben, zumindest nicht an diesem einen Tag. Vielleicht war es den Herren auf dem Steg einfach zu peinlich, dass sie für den Sprung ins kühle Nass etwas mehr Zeit brauchten. Dabei gestaltete sich der Sommer 1928 mit durchschnittlich 16,2 Grad recht ordentlich, wenn auch fast sibirisch im Vergleich zu heute.